"Gehörlos ist nicht sprachlos" - das Interview mit Dr. Susanne Lange
- Ulrike Fricke
- 25. Juli
- 2 Min. Lesezeit
Ausdrucksstarke Gesten, mitunter ein Klatsch-Geräusch, ein ungewohntes Tönen und Sprechen.
Das kenne ich aus meiner Kindheit in einem Dorf in Südniedersachsen. Nordharzrand. Grenznähe (deutsch-deutsche Grenze).
Diese Gegend ist nicht bekannt für expressive Kommunikationsfähigkeit. Was hat es also mit dieser Gesten-/Geräusch-/ Ton-Mischung auf sich?
Die Eltern einer Mitschülerin haben sich so Gehör verschafft. Sie sind gehörlos. Wie besonders diese Art zu kommunizieren ist, habe ich früh verstanden.
Ich habe inhaltlich, ehrlich gesagt, nichts verstanden, es war ganz klar eine andere Sprach-Welt. Und dann gab es die leichte Scheu: was tue ich, wenn ich angesprochen werde?
Miteinander sprechen bedeutet stark vereinfacht:
Eine Person spricht. Die andere(n) hören zu.
Was aber, wenn eine Person nicht hören kann?
Darüber erzählt uns Frau Dr. med.vet. Susanne Lange im Interview mehr. Sie hat gehörlose Eltern, und damit ist sie eine Coda: ein sprechendes Kind gehörloser Eltern (child of deaf adults).
In meinen Worten zusammengefasst:
Im Vorgespräch hast Du mir gesagt, Du seiest eine Coda. Was bedeutet das?
Es bedeutet “Child of deaf adults”, also hörendes Kind gehörloser Eltern.
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Du bist aufgewachsen in beiden Welten, der der Gehörlosen und der der Hörenden. Wie kommunizierst Du mit Deinen Eltern? Und mit Hörenden?
Es ist eine eigene Welt, Codas wachsen zwischen zwei Welten auf. Gehörlose haben mit ihrer Gebärdensprache eine Kultur, die anders ist, als die der Hörenden.
Wir Codas übersetzen bereits als Kind sehr viel, auch in Bereichen wie zB. Bankgeschäfte, was natürlich auch belastend ist.
Ich empfinde es aber als bereichernd, mich per Gebärde ausdrücken zu können. Das gibt viel mehr Möglichkeiten! (Anekdote dazu im Film, nutzt den Link)
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Du hast eine Angestellte, die gehörlos ist. Wie tauscht Du Dich mit ihr aus? Und die Klient*innen/ Kolleginnen?
Nervenaufreibend ist eher die Kommunikation mit Behörden, das war wirklich nicht leicht. Untereinander gebärden wir, eine Kollegin hat einen Kurs belegt, und alle können das Fingeralphabet – oder es wird geschrieben!
Zugewandt sein hilft, und Blickkontakt!
Ironie und Sarkasmus sind nicht so leicht zu vermitteln, so ist meine Erfahrung.
Ansonsten kann betont werden über die Intensität der Gebärde, und den Gesichtsausdruck dabei. Der Körper macht mit!
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Ich erfahre immer mal, dass es Hemmungen gibt, mit Gehörlosen zu sprechen. Kommt Dir das bekannt vor?
Ja, klar. Dabei finden Gehörlose es grundsätzlich gut angesprochen zu werden!
Tipps:
langsam und deutlich reden
Zettel und Stift haben und aufschreiben oder ins Handy eintippen
Hemmung einfach überbrücken und loslegen: Es wird Dich nie jemand auslachen! Und das ist ähnlich wie beim Lernen anderer Sprachen.
Als gehörloser Mensch wirst Du aber auch frustrierende Reaktionen haben: Manche drehen sich einfach weg.
Es hört sich anders an. Meine Eltern sollten als Kinder die Lautsprache lernen, und das lief oft sehr grob. Erst erst wurde das Leid der Gehörslosen in Hamburg anerkannt. (s.Link unten)
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Welche Gesten sollte ich kennen?
Hallo!
Wie geht’s?
Danke!
Wann redest Du am liebsten?
Ich bin extrovertierte Introvertierte und rede am liebsten gar nicht. Ich beobachte gern!
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Ein ausgesprochen gutes Gespräch, vielen Dank!
Weitersehen und weiterhören?
Filmbeitrag in der ARD Mediathek “Ich bin anders” – Kinder gehörloser Eltern
Song zum Thema: Herbert Grönemeyer - Musik nur, wenn sie laut ist.
Filmbeitrag vom NDR zur Anerkennung des Leides Gehörloser, von Frau Dr. Lange im Interview erwähnt,



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